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Über den Kropf in meinem Bloghals. Oder: Wenn Hirn und Herz sich krümmen

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Liebes Ruhrgebiet und Rest vonne Welt, das hier war mal ein Blog voller Lebensfreude. Trallafittilust, Spaß anne Freud und am Ruhrgebiet standen im Mittelpunkt. Und dann habe ich mich verliebt. Nein, in keine Zeche oder in irgendein schönes Herbstblatt, sondern in den Mann, der zwei Etagen unter mir wohnt. Man könnte ihn deshalb auch getrost "Nachbar" nennen. Wir haben uns ein Jahr lang aneinander die Zähne ausgebissen, haben uns den Alltag zur Hölle gemacht und wollten das, was nicht passt, unbedingt passend machen. Sowas ist dumm. Aber manchmal ist man halt dumm und ganz manchmal lässt man sich dabei sogar selbst vor die Hunde gehen. Lebensfreude und Trallafittilust gehen flöten, Spaß hat man nicht mehr anne Freud, sondern höchstens noch dann, wenn die Katastrophe grad mal eine Pause macht. Die Kreativität zieht gemeinsam mit der Unbeschwertheit in den Keller und irgendwann beginnt man jeden zweiten Blogpost mit "In letzter Zeit war alles kacke..." und findet das selber voll bescheuert.

Man sitzt dann mit seinem Online-Ich da, das irgendwie ja gar nicht nur das Online-Ich ist, und kann nicht mehr mithalten. Mit dem Lebensfreudeanspruch, der den eigenen Blog diktiert. Man will total authentisch sein, hat aber gar nix mehr zu sagen, was für die breite Masse geeignet wäre und keinem fürchterlich beknackten Seelenstriptease gleichkäme. Also sagt man irgendwann so ziemlich gar nix mehr und vermisst sich auf eine komische Art und Weise selbst. Man vermisst den Menschen und den Blogger, der man eigentlich ist, und fühlt sich mit jedem Post, den man mit zusammengebissenen Zähnen rausgequetscht hat, irgendwie schlecht.


Ich habe mir sehr gut überlegt, ob ich in diesem Kontext überhaupt etwas schreiben will. Ich habe mir sogar noch besser überlegt wie ich das tun kann, ohne dreckige Wäsche zu waschen und ohne zuuu persönlich zu werden. Im letzten Jahr habe ich unter dem Titel "Über den Mut zur Ehrlichkeit" mal einen Post veröffentlicht, in dem ich darüber nachgedacht habe, warum man als Blogger meist nur Schönwetter-Posts online stellt. Warum man aber eigentlich nie darüber schreibt wie kacke das Leben auch mal sein kann, wie weh es tun kann und wie man in Wahrheit mit Gedanken oder Gefühlen hadert und hadert und dass hinter den schönen Fotos von Sonnenuntergängen und toll gedeckten Tischen oft ein ganz anderer Alltag steckt. 

Unter diesem Post wurde damals verdammt viel kommentiert. Viele sprachen sich für mehr Alltagsehrlichkeit aus. Viele fanden den Gedanken toll, sagten aber, dass sie selbst sowas zwar gerne lesen und sowas sehr schätzen würden, aber sich selbst lieber in solcher Hinsicht bedeckt hielten, weil man sich eben lieber nicht zu angreifbar oder verletzlich im www präsentieren möchte. Wieder Andere waren der Meinung, dass sowas auf einem Blog nichts zu suchen hätte und dafür wurden dann unterschiedliche Gründe genannt.

Meine Jetzt-Nicht-Mehr-Beziehung der letzten 12 Monate hat meinen Blog und mich komplett verschluckt. Vielleicht sollte ich das anders formulieren, damit es nicht wie eine Schuldzuweisung klingt. Also: Ich habe zugelassen, dass meine Beziehung meinen Blog und mich verschluckt. Es hat mich schließlich niemand dazu gezwungen, es sei denn, man möchte die Sehnsucht nach "Das muss doch irgendwie alles gut ausgehen!" zur Zwangsmetapher hochstilisieren. 


Es ist nicht gut ausgegangen und ich sitze jetzt mit einem ganz schön großen Loch da, in dem sich Verletzung, Wut, Enttäuschung und die ersten leisen Erkenntnisse tummeln, dass nichts und niemand es wert ist, sich selbst zu verlieren. Weder die Sehnsucht, noch irgendein Mensch. Dass man selbst schuld ist, wenn man Menschen, die einem nicht gut tun, zu nah an sich heran lässt. Dass man kein Hündchen sein darf, das der Sehnsucht hinterher rennt. Es gibt ein Lied von der Band Jupiter Jones, in dem heisst es "Weil Hirn und Herz sich krümmen und dann so vor mir stehen, sie können's selbst kaum glauben, dass sie sich zur Zeit so selten seh'n". Ich zitiere diese Stelle, weil es keine Worte gibt, mit denen ich es besser sagen könnte und ich wünsche mir, dass Hirn und Herz bald wieder Hand in Hand laufen, damit ich wieder ich bin, meine Blogposts nicht mehr mit "In letzter Zeit war alles kacke" beginne und wieder mehr gute Momente, Menschen und Gefühle in mein Leben lassen kann.

Diesen Post schreibe ich, weil ich den Kropf loswerden will, der mir jetzt ein Jahr lang blogtechnisch im Hals saß. Und dafür muss man vielleicht einmal Tacheles reden und einfach die Wahrheit sagen. Ich möchte mir damit selbst einen Schubs in die richtige Richtung geben und gleichzeitig aber auch irgendwie erklären, warum mein Blog sich im letzten Jahr verändert hat, warum kaum noch Trallafitti angesagt war und warum die Posts immer weniger und weniger wurden. Zwar bin ich niemandem online irgendeine Art von Rechenschaft schuldig, aber es fühlt sich für mich einfach richtig an, einmal reinen Tisch zu machen, weil es mich oft traurig gemacht hat, dass Ihr Leser denken könntet "Joa, die hat auch mal besser gebloggt" oder "Hat se wohl keen Bock mehr". Tja. Bock und Lebensfreude haben sich bei mir halt in letzter Zeit auch ordentlich krümmen müssen, um sich überhaupt mal zu Gesicht zu bekommen. Und ich hoffe sehr, dass sich das bald wieder ändert.


Ich wollte Euch von meinem Ausflug nach Holland erzählen und Euch das schöne Strandvideo zeigen. Ich wollte mein Hamburgwochenende und meinen Aufenthalt in der Superbude verbloggen. Und auch ein Hamburgvideo war in the making. Ich wollte Euch Fotos von einer Runde Haldewitzka auf der Halde Hoheward zeigen und beweisen, dass man da ganz toll Drachen steigen lassen kann. Das alles fällt nun flach, weil ich all das nicht allein, sondern mit meinem Jetzt-Nicht-Mehr-Freund erlebt habe und den Teufel tun werde, irgendwelche ziemlich schmerzhaften Erinnerungen hier als locker-flockige Blogposts zu verkaufen. Also werde ich mich jetzt irgendwie bekrabbeln und dann ist heimatPOTTential hoffentlich bald wieder das, was es mal war: ein ehrlicher Platz für Lebensfreude.

Merke: Gefühle sind nur Besucher.
Man kann sie kommen und gehen lassen.


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